Erzählung aus der Vorzeit soll Vorrang vor den Badenern beweisen. Sage von der Belagerung Altebersteins Teil 2.
<Gernsbach> Die Geschichte von der Belagerung der Burg Alteberstein durch Kaiser Otto den Großen im Jahr 938 und der anschließenden Verheiratung des Ebersteiner Grafen mit der Kaisertochter findet sich zum ersten Mal in der Weltchronik eines Passauer Dompfarrers aus dem Jahr 1508. Auf das 10. Jahrhundert kann seine Geschichte nicht zurückgehen. Die Burg Alt-Eberstein wurde erst um 1050 gebaut.
Die Quellen des Passauer Autors liegen im Dunkeln, aber seine Erzählung wurde bald von anderen aufgegriffen und ausgeweitet, zuerst von dem Humanisten Dr. Caspar Baldung (gestorben 1540). Dass der Kaiser die Ebersteiner mit einer Einladung zum Turnier nach Speyer von ihrer Burg weglockt und die Kaisertochter einem der drei Grafen beim Tanzen den Plan ihres Vaters verrät, sind Zutaten Baldungs.
Die Erwähnung Speyers hat einen historischen Kern, passt aber schlecht ins 10. Jahrhundert. Speyer war für den Sachsenkaiser Otto völlig unbedeutend, er hätte wohl kaum einen Hoftag an einem Ort abgehalten, der um 1000 von einem Kleriker noch als „Kuhnest“ bezeichnet wurde. Erst die nachfolgenden Kaiser aus der Salierdynastie machten die Stadt zu einem Herrschaftszentrum, das in der Folge auch für die Ebersteiner wichtig wurde. Wahrscheinlich wählte Baldung aus diesem Grund gerade Speyer als Schauplatz aus.
Auch die Verbindung mit dem Kaiserhaus hat einen historischen Kern, der außerhalb des 10. Jahrhunderts zu suchen ist. Zwar war niemals irgendein Ebersteiner mit der Tochter eines Königs oder Kaisers verheiratet. Allerdings nahmen die Grafen auf dem Höhepunkt ihrer Macht im 13. Jahrhundert ihre Ehepartner aus vornehmen Geschlechtern, unter anderem den Grafen von Andechs-Meranien. Die waren als Ehepartner sogar „kaiser- und königstauglich“, da Angehörige dieser Familie mit Mitgliedern des staufischen Kaiserhauses und Königen anderer Länder verheiratet waren.
Welchen Grund hatte Caspar Baldung, die Geschichte zu übernehmen und sogar noch zu erweitern? Sein Bruder, der Maler Hans Baldung Grien, hatte ihn gebeten, ihm „uß glaubwürdigen cronicken“ einen Nachweis „des hohen und alten Herkommens der Graven von Eberstein“ zusammenzuschreiben. Der Maler Baldung war mit dem Straßburger Domherrn Bernhard IV. von Eberstein (Bruder Graf Wilhelms IV.) bekannt, dessen Haus in der Straßburger Brandgasse (heute Rue Brulée nahe dem Broglie-Platz) er ausgemalt hatte. Wahrscheinlich erhoffte er sich bei dieser Gelegenheit noch einen größeren Auftrag für die Ausmalung des Ahnensaales auf Schloss Eberstein – allerdings vergeblich.
Die Bemühungen der Baldungs in Sachen Ahnenforschung jedoch kamen bei den Ebersteinern sehr gut an. Das zeigt sich an der Tatsache, dass die Belagerungsepisode vom Schwiegersohn Wilhelms IV., Graf Froben Christoph von Zimmern, um 1564 in seine „Zimmerische Chronik“ übernommen wurde. Zu dieser Zeit hatten die Ebersteiner ihre einstige Bedeutung schon lange eingebüßt und waren durch den Aufstieg der Badener auf den Status machtloser lokaler Herren herabgesunken. Was ihnen vom einstigen Glanz noch blieb war der Stolz auf ihr uraltes Herkommen, das durch die angebliche Abkunft vom ottonischen Kaiserhaus als eine Art Ahnenpass eindrucksvoll untermauert wurde. Danach waren die Ebersteiner den Markgrafen von Baden, die ihnen im Bayerischen Erbfolgekrieg 1504 den letzten Rest von selbständiger Macht genommen hatten, wenigstens durch den Stammbaum deutlich überlegen. Die Badener hatten zu dieser Zeit nichts Vergleichbares zu bieten, da die Verwandtschaft mit den Zähringer Herzögen erst im 18. Jahrhundert aufgedeckt wurde.
Die Geschichte von der Belagerung Altebersteins wurde in der Folge weiter variiert. Mal hieß die Kaisertochter Kunigunde, mal handelte es sich nicht um die Tochter, sondern um eine Schwester des Kaisers namens Hedwig. Auch das Detail, die belagerten Ebersteiner hätten die Feinde durch Fässer mit doppeltem Boden über ihre Vorratslage getäuscht, kam später hinzu. Während die Erzählung im 16. Jahrhundert für bare Münze genommen wurde, sprachen die Geschichtsschreiber des 19. Jahrhunderts ihr jeden historischen Wert ab. Ihr Zweck, den Stolz eines in die Bedeutungslosigkeit gesunkenen Geschlechts durch einen glanzvollen Ahnenpass zu heben, war auf jeden Fall überholt: Die Ebersteiner waren 1660 in männlicher Linie ausgestorben. |