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Die Leibeigenschaft stammte aus dem Mittelalter. Der Leibeigene war zwar kein rechtloser Sklave, aber in einer Weise vom Leibherrn abhängig, die als entwürdigend empfunden wurde. Standortwechsel und Heirat waren nur mit Erlaubnis des Herrn möglich. Auch die Freilassung lag in dessen willkürlichem Ermessen; wurde sie gewährt, war eine Gebühr fällig. Zeichen der Abhängigkeit waren diskriminierende Steuern wie zum Beispiel das „Leibhuhn“. Starb der Leibeigene, hatte der Leibherr oft Anrecht auf das beste Stück Vieh, das sogenannte „Besthaupt“, oder andere Abgaben. Von diesen in manchen Gegenden erdrückenden Erbschaftssteuern waren die Gernsbacher allerdings schon seit dem Mittelalter befreit. Sie hatten im Fall einer Freilassung nur eine Freilassungstaxe zu zahlen. Mit großen finanziellen Lasten war die Leibeigenschaft also im Murgtal nicht verbunden. Dafür brachte ihre Aufhebung für Gernsbach unmittelbare Kosten mit sich.
Im Gegenzug für die Befreiung verpflichtete sich die Stadt, dem Badener und dem Ebersteiner „ein Tausendt Guldin“ zu bezahlen, und zwar in Jahresraten zu 200 Gulden. Darüber hinaus wurden die beiden Herren zu zwei Dritteln an einer Keltersteuer beteiligt. Ein Drittel dieser Steuer, welche die Stadt auf den von ihr gekelterten „Trottwein“ erhob, durfte sie selbst behalten, da „sie die Trodten (Keltern) in ihren Kosten zu erhalten schuldig“. Daneben sollten die Herren zwei Drittel vom Weinzehnten erhalten, den die Stadt von Speyer gepachtet hatte, wobei sie sich allerdings an der Pachtsumme beteiligen mussten. Schließlich wurde noch ein Salzmonopol eingerichtet, dessen Erträge ebenfalls im Verhältnis zwei zu eins zwischen Herrschaft und Stadt aufgeteilt wurden.
Beide Herren, besonders der beim Markgrafen hochverschuldete Ebersteiner, betrachteten die verhältnismäßig wohlhabende Stadt in erster Linie als Geldquelle. Der Verzicht auf die Leibherrschaft als Anreiz schien ihnen dagegen ein kleineres Übel. Sie äußerten in ihrer Urkunde die Erwartung, dass die Gernsbacher „auch an Ehren und Gut zunehmen“, das heißt die Wirtschaftskraft der Stadt steigern würden. Freie Untertanen waren leistungsbereiter. Diese Erfahrungstatsache hatten andere Fürsten schon längst für sich genutzt. Doch zuviel Freiheit sollte auch nicht sein! Sicherheitshalber hielt die Urkunde von 1583 ausdrücklich fest, dass die Gernsbacher auch weiterhin „zu dienen underworffen schuldig … sein und pleiben“. Die Grund-, Orts-, und Gerichtsherrschaft blieb erhalten mit allen dazugehörigen Steuern, Abgaben und Pflichten einschließlich der überkommenen Fronarbeiten (Fuhr-, Bau- und Botendienste). Außerdem blieb die neue Freizügigkeit durch eine Abzugssteuer praktisch stark eingeschränkt: Wer auswandern wollte, musste nicht mehr um Erlaubnis fragen, aber zehn Prozent des außer Landes gebrachten Vermögens an die Herrschaft abgeben!
Dennoch nahmen „Burgermaister, Gericht, Rath und Gemeindt der Statt Gernspach“ die Regelung „in billicher Dankhbarkeit“ an. Mit dem Freiheitsbrief von 1583 hatten sie sich einen Rechtsstatus erkauft, der weit in die Zukunft wies – den Status der persönlichen Freiheit.
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