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Löw Dreyfuß in Gernsbach nicht willkommen. Schwieriger Start einer jüdischen Familie. von Cornelia Renger-Zorn „Königliche Hoheit haben nunmehro die Schutzannahme des Löw Dreyfuß von Weißenburg nach Gernsbach gnädigst verwilligt.“ Diese Notiz mit Datum 20. August 1806 findet sich am Rand eines im Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrten Protokolls des Geheimen Rates, einer wichtigen Behörde der badischen Regierung. Großherzog Karl Friedrich, durch Napoleon zur Führung des Titels „Königliche Hoheit“ berechtigt, hatte damit einen in Gernsbach schwelenden Streit in letzter Instanz entschieden. Ein schwieriger Start für eine jüdische Familie, die später zu den angesehensten von Gernsbach zählte. In Baden durften Juden sich bis 1817 nur an einem bestimmten Ort niederlassen und Handel treiben, wenn sie dort als sogenannte Schutz- oder Schirmsjuden aufgenommen wurden. Für diesen Schutz, der auch die abhängigen Familienmitglieder einschloss, mussten sie dem Markgrafen, später Großherzog, eine jährliche Gebühr von damals 21 Gulden bezahlen. Der Gernsbacher Schutzjude Salomon Kaufmann (1739-1818) hatte schon mehrfach bei der badischen Regierung um Aufnahme seines Neffen Löw Dreyfuß (1783-1855) aus Weißenburg gebeten. Der vermögende, aber kinderlose Salomon wollte den jungen Löw (der Vorname ist abgeleitet vom Löwen als Symboltier des Stammes Juda) gern zu seinem Erben machen. Salomons Ehefrau stammte vermutlich auch aus dem Elsass, da ihr Vermögen in Louisdor angegeben wurde. Löw war, wie Salomon in seinen Gesuchen gegenüber der Behörde darlegte, von der Weißenburger Verwandtschaft sehr schlecht behandelt worden. Salomon selbst war 1771 als Schutzjude in Gernsbach aufgenommen worden, und zwar als Sohn des 1733 aus Untergrombach zugewanderten David Kaufmann, der nach einem Verzeichnis im Stadtarchiv Gernsbach bereits 1736 ein Haus an der Hofstätte besaß. In Gernsbach formierte sich vehementer Widerstand gegen Salomon Kaufmann und seinen Neffen. Am 16. Juni 1806 verfasste ein gewisser Simon Kaufmann (1768-1841), kein Bruder, aber ein Verwandter des Salomon, als Vertreter der „Judenschaft und auch der Christlichen Handelsleute“ von Gernsbach, ein Schreiben an das „höchstpreisliche Geheime Ratscollegium“ in Karlsruhe. Darin ersuchte er den Rat nachdrücklich, „den ungestümen Elsasser Jud Dreyfuß und seinen Patron, den alten Salomon Kaufmann, mit ihrem anhaltenden Gesuch um Annahme nach Gernsbach bey hoher Strafe gar nicht mehr vorzulassen“. Das Gesuch sei, so Simon, bereits mehrfach abgelehnt worden, und es erzeuge Unruhe in der Stadt, wenn es immer wieder, unter anderem auch mit dem Einsatz von „Geld und Gold auf öffentlichen und geheimen Wegen“ ständig wiederholt werde. Stattdessen solle man besagten Löw Dreyfuß nach Weißenburg zurückschicken, wohin er gehöre. Als Begründung führte Simon die angebliche Wucherpraxis der elsässischen Juden an sowie die Angst vor vermehrtem Zuzug aus dieser Gegend. Außerdem, so Simon, wäre die Annahme des Löw eine „wahre Ungerechtigkeit an so vielen unglücklichen Juden“, „die den Schutz in ihrem Vaterland nicht erhalten können“. Damit meinte er wohl die große Zahl der Juden, denen mangels Vermögen die Annahme an einem Ort verweigert wurde und die daher darauf angewiesen waren, heimatlos umherzuziehen und sich ihr Brot durch Hausieren oder Betteln zu verdienen. Eine Entscheidung auf höchster Ebene für die Annahme des Löw Dreyfuß war aber zu diesem Zeitpunkt bereits gefallen. In einem letzten Versuch, die Regierung doch noch umzustimmen, wandten sich kurz darauf (am 18. Juni 1806) 14 Gernsbacher Bürger direkt an den Großherzog. Es seien, so heißt es in ihrem Schreiben, bereits sechs Schutzjuden in der Stadt, „welche ziemlichen Handel treiben und daher Kaufleuten, Metzgern etc. sehr im Licht stehen“. Da außer Salomon Kaufmann alle Gernsbacher Juden Kinder hätten, so wurde weiter argumentiert, sei eine Aufnahme Fremder nicht nur für die hiesige Bürgerschaft, sondern auch für die bereits ansässigen Juden „äußerst nachteilig“. Salomon wusste bereits, dass sich der Wind in Karlsruhe zu seinen Gunsten gedreht hatte. Sehr respektvoll, aber auch sehr sachlich wies er gegenüber dem Großherzog auf das eigenmächtige Vorgehen seiner Gegner hin und äußerte die Vermutung, einige der Unterzeichner seien durch ihre Schulden zur Unterschrift genötigt worden. Steuern für die Pflasterung von Gernsbachs Straßen. Schwieriger Start einer jüdischen Familie Löw Dreyfuß aus Weißenburg wurde im August 1806 als sogenannter Schutzjude in Gernsbach aufgenommen. Damit erhielt er das Recht, sich mit seiner Familie in der Stadt niederzulassen und Handel zu treiben. Dies war etlichen Bürgern ein Dorn im Auge. Der Aufnahme des Löw Dreyfuß als Schutzjude waren wiederholte Gesuche seines Onkels Salomon Kaufmann vorhergegangen, die von der Regierung in Karlsruhe zunächst immer wieder abgelehnt worden waren. Was den Großherzog bewog, dem Gesuch am Schluss doch stattzugeben, geht aus einem Protokoll des Geheimen Rates vom August 1806 hervor. Dort heißt es: Die von „sämtlichen Gewerbsleuten“ in Gernsbach beklagte „Übersetztheit der Gewerbe“ und „Schädlichkeit des Judenhandels“ seien zwar nach wie vor schwerwiegende Gründe gegen eine Annahme. Andererseits würde, „wenn Dreyfuß, wie zu vermuthen, der Erbe des alten Kaufmanns werden sollte, dessen Vermögen, wenn die Annahme nicht statt finden würde, dem Land entzogen“. Das Vermögen wurde mit 20.000 Florin oder Gulden angegeben, eine für damalige Verhältnisse enorme Summe. In dem Verzeichnis der Geschädigten des Stadtbrands von 1798 wurde Salomon als „Handelsmann, vermögend“ geführt. Sein abgebranntes Haus befand sich in der Amtsstraße nahe der Einmündung der Storrentorstraße. Der Schaden allein an verbranntem Mobiliar belief sich auf über 2000 Gulden. Welche Vorteile ein hohes Vermögen dem Land bringen konnte, zeigte sich noch im selben Jahr. Löw musste, wie alle badischen Schutzjuden, das sogenannte Pflastergeld entrichten: eine nach dem Vermögen gestaffelte Steuer, die ursprünglich Markgräfin Sibylla Augusta den Juden auferlegt hatte, um mit diesem Geld die Straßen von Rastatt zu pflastern. Da die Stadt Gernsbach 1806 gerade dabei war, „das untere Thor abzubrechen und die Straße mit einem großen Kosten Aufwand“ zu erneuern, wurde der Stadt erlaubt, das Pflastergeld des Löw Dreyfuß für dieses Projekt zu verwenden. Dabei wurde auf den Präzedenzfall des Raphael Samuel (1774-1834, Eisenhändler, ein Mitglied der sich später Nöther oder Netter nennenden Familie aus Bühl) verwiesen, dessen Pflastergeld 1803 für die Straßenpflasterung in Hörden und Scheuern verwendet worden war. Löw heiratete Salomons Nichte Gertrud „Treidel“ Kaufmann (1783-1826, Enkelin des 1733 zugewanderten David Kaufmann). Die beiden, deren Grabsteine noch heute auf dem jüdischen Friedhof von Kuppenheim zu finden sind, wurden zu Stammeltern einer der angesehensten Familien in Gernsbach. Laut der Volkszählung von 1848 besaß Löw Dreyfuß ein Haus an der Hofstätte (zusammen mit seinem Sohn Jacob, wohl das Geschäftshaus) und eines in der Schlossstraße, wo er mit seiner Familie wohnte. An der Hofstätte ist 1848 auch ein David Kaufmann als Hauseigentümer verzeichnet. Vermutlich mit ihm zusammen gründete Löw 1806 ein Bankgeschäft, das über 100 Jahre Bestand hatte. Nach dem Tod Löws wurde es von seinem Sohn Jacob, dann bis 1919 von seinem Enkel Gustav weitergeführt. Jacob war 1872 Gründungsmitglied der eingetragenen Genossenschaft „Vorschussverein Gernsbach“ (ein Vorläufer der regionalen Volksbank). Zwischen 1869 und 1886 finden wir ihn als Mitglied des Verwaltungsrates und Bankier der „Murgthal-Eisenbahn-Gesellschaft“, mit deren Unterstützung 1869 die erste Eisenbahnverbindung von Rastatt nach Gernsbach realisiert wurde. Jacob Dreyfuß ließ auch das alte Haus an der Hofstätte (das bereits 1817 erwähnt wird) abreißen und dort 1856 trotz der beengten Grundstücksverhältnisse ein imposantes, noch heute stadtbildprägendes Gebäude (ehemals Bankhaus Dreyfuß) errichten, dessen Pläne von dem renommierten Weisenbacher Baumeister Johann Belzer stammten. 1919 verkaufte Jacobs Sohn Gustav Dreyfuß Haus und Bankgeschäft an die Rheinische Creditbank (Vorläuferin der Deutschen Bank). Die Familien Dreyfuß und Kaufmann leben auch in anderen Familien fort. Von den neun am 22. Oktober 1940 ins Konzentrationslager Gurs deportierten Mitbürgern blickten sechs als direkte Nachfahren von Löw Dreyfuß und Treidel Kaufmann auf eine Gernsbacher Ahnenreihe zurück, die bis ins Jahr 1733 zurückreicht. |