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Heilige Anna wertvoller als gedacht. Denkmalpflege enthüllt kleine Sensation.
„Kleine, aber feine Spende“, berichtete die lokale Presse im September 2018 über eine Spende des Arbeitskreises Stadtgeschichte Gernsbach für die Restaurierung der heiligen Anna am Alten Rathaus Gernsbach. Seit 2017 hatte der Gernsbacher Architekt Bernd Säubert zusammen mit dem Arbeitskreis auf den schlechten Zustand der Skulptur hingewiesen. 2019 wurde die Statue zum ersten Mal von einer Restauratorin untersucht, konkrete Maßnahmen konnten aber damals noch nicht erfolgen. Bekannt ist, dass der speyerische Vogt Caspar Bitzberger die Figur um 1720 oder 1730 vor seinem Amtssitz (Haus neben dem Alten Rathaus) aufstellen ließ.
2022 gelang es Bernd Säubert, Roland Lenz, Professor für Konservierung und Restaurierung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, und Dr. Dörthe Jakobs, Hauptkonservatorin am Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen, für die Statue zu interessieren. Die beiden Wissenschaftler ermöglichten der heiligen Anna einen längeren Aufenthalt im Restaurierungsatelier in Esslingen, wo sie im Rahmen von Projektarbeiten zweier Studierender der Akademie der Bildenden Künste genauer unter die Lupe genommen wurde.
Am 13. Mai 2023 holte Steinrestaurator Frank Eger aus Balingen (Restaurator der Kreuzigungsgruppe auf Schloss Eberstein) die heilige Anna für den Transport nach Esslingen von ihrem Standort am Alten Rathaus herunter. Ende November kamen Anna Lisa Krautheimer, Mitarbeiterin der Akademie der Bildenden Künste, und die Studentin Leandra Schöll nach Gernsbach, um auch den Standort der Skulptur, also das Postament am rechten Rand der Fassade des Alten Rathauses, die darauf stehende Säule und die angrenzenden Hauswände auf Schäden zu untersuchen. Der Zeitpunkt, an dem Postament und Säule kombiniert wurden, obwohl sie zeitlich nicht zusammengehören, konnte nicht mehr ermittelt werden.
Vor einigen Tagen war es dann soweit: Auf Einladung des Landesamtes für Denkmalpflege fuhren Dominic Breyer vom Stadtbauamt Gernsbach und einige Mitglieder des Arbeitskreises nach Esslingen, um sich über die Ergebnisse der Untersuchungen zu informieren. Schon die ersten Blicke auf die in der Werkstatt aufgestellte Statue verblüfften und begeisterten die Besucher! Niemand hatte eine so fein gearbeitete Skulptur mit einem so ausdrucksstarken Gesicht vermutet! An ihrem Standort in Gernsbach war ihre Qualität verborgen geblieben durch starke Verschmutzungen und Reste zahlreicher Fassungen aus verschiedenen Entstehungszeiten, die sich zum Teil schollenartig vom Untergrund gelöst hatten.
Die folgende, 90minütige Bildschirmpräsentation enthüllte dann eine kleine Sensation. Benno Stadtherr und Leandra Schöll, beide Studierende der Akademie der Bildenden Künste, führten die Besucher in die sogenannte Fassungs-Stratigraphie ein. Bei dieser Methode werden die verschiedenen Schichten (stratum, lateinisch für Schicht) der Bemalungen und Fassungen untersucht und grafisch dargestellt. Nicht jede Schicht, ob Bemalung oder Grundierung, ist auch eine die Erscheinung der Figur bestimmende sogenannte Sichtfassung. Die Gernsbacher Annenfigur ist aus einem gelblich-grau gemaserten, aus der Gegend von Gaggenau stammenden Tigersandstein gefertigt. Auf diesem Sandstein fanden sich stellenweise bis zu 26 Schichten übereinander! Aus den einzelnen Fassungsschichten wurden winzige Proben mit einem Skalpell entnommen und unter einem Spezialmikroskop untersucht. Dabei entpuppte sich die Statue als erheblich wertvoller, als es ihre letzte farbige Fassung aus jüngeren Zeiten vermuten ließ.
Ursprünglich sah die heilige Anna sogar völlig anders aus! Der zweite Teil der Präsentation stellte aufgrund der Ergebnisse der Stratigrafie mehrere Möglichkeiten der Konservierung und Restaurierung vor. Eine der untersten erkennbaren Schichten deutet auf eine monochrome (einfarbige) Fassung mit einer sogenannten „Smalte“ hin, einem Kobaltpigment, das im Barock beliebt war, um Steinfiguren eine weißliche Marmor-Optik zu verpassen. Die heilige Anna wirkte also ursprünglich wie eine Marmorfigur. Vergoldet waren nur der Strahlenkranz, das Buch in ihrer linken Hand und die Sonne auf ihrer Brust (ein ganz untypisches Attribut dieser Heiligen).
In der folgenden Diskussion wiesen Professor Lenz und Hauptkonservatorin Jakobs darauf hin, dass die Untersuchung der Statue im Februar 2024 beendet sein wird. Sie empfahlen, da Restaurierungsmaßnahmen nur auf der Grundlage dieser Untersuchung möglich seien, die dann anstehenden Fragen bei einem weiteren Treffen in größerer Runde zu besprechen. Soll die Original-Statue wieder an ihrem ursprünglichen Standort aufgestellt werden? Ist eine Rekonstruktion der frühen Fassung in Marmoroptik mit Vergoldung möglich? Welche Maßnahmen sind am Sandstein der Skulptur nötig, welche an dem Postament und an der Säule? Die Restaurierung selbst müsste von einem Fachmann ausgeführt werden. Auch die Kostenfrage ist zu klären, bei der möglicherweise ein fünfstelliger Betrag im Raum stehen könnte. Die heilige Anna braucht für den Fall, dass ein Restaurierungskonzept zum Tragen kommt, auf jeden Fall mehr als eine „kleine, aber feine Spende“.
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