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Mord auf dem Bodensee. Simon Weinzürn, der Rebell von Meersburg |
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Besondere Theatererfahrung war das Freilichtspektakulum “Mord auf dem Bodensee. Simon Weinzürn, der Rebell von Meersburg” (zum ersten Mal aufgeführt am Samstag, 20. Oktober und Sonntag, 21. Oktober 2007 während des Mittelaltermarktes in Meersburg am Bodensee).
Der Anstoß, im Rahmen des Mittelaltermarktes das Schicksal des um 1458 gemeuchelten Bürgermeisters Weinzürn (eine Straße in Meersburg ist nach ihm benannt) in Szene zu setzen, kam von Inge und Harald Welker (MMV Mittelalter, Mummenschanz und Völlerei, Veranstalter des Mittelaltermarktes). Durch einen guten Draht in die bunte und faszinierende Welt des Mittelalters erhielt ich den Auftrag, das Stück zu verfassen (Vorgaben: Textteil nicht länger als 30 Minuten, sechs Sprechrollen). Bei so einem Angebot kann man nicht Nein sagen! Die richtige Beschäftigung für ungemütliche Wochenenden im Februar! In meiner Dachkammer bohrte ich mich ins spätmittelalterliche Meersburg hinein. Obwohl die Literatur speziell zum Thema “Weinzürn” außerordentlich rar gesät ist! Es scheint fast, als habe die Kirche eine Art Damnatio memoriae verhängt, das heißt die Spuren dieses Mannes aus der Geschichte getilgt.
Aufgeführt wurde das Stück von Mitgliedern der Mittelalter-Gruppe Autumnus Medievalis. Die Darsteller agierten mit großem Engagement und sehr überzeugend. Ein erstaunliches Ensemble! Das Verhältnis von Input (Proben) und Output (Qualität der Aufführung) war auf jeden Fall unglaublich! Auch die Neuinszenierung 2008 haben sie trotz knappster Probenzeit mit Bravour und viel Leidenschaft wieder toll hingekriegt! Aber das Bild wäre nur halb so eindrucksvoll gewesen ohne den grimmigen Auftritt der Landsknechte des Ulmer Aufgebotes von 1475 in ihren glänzenden Panzern. Zuerst hielten sie das Volk in Schach, dann eskortierten sie den unglücklichen Weinzürn in Ketten hinunter zur Schiffslände. Vorneweg zog eine mittelalterliche Gruppe der italienischen Partnerstadt St. Gimignano mit ihren Trommeln. Im Rhythmus der dumpfen Schläge bewegte sich der Hinrichtungszug seinem schrecklichen Ziel entgegen. |
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Kurz zum Inhalt: Meersburg um das Jahr 1458: Simon Weinzürn agiert - gegen den Willen des Bischofs von Konstanz, des Stadtherrn von Meersburg - schon seit einigen Jahren als von der Bevölkerung gewählter Bürgermeister. Das Verhältnis zwischen Bischof und Stadt ist nicht gut. Die Stadt will selbständig und freie Reichsstadt werden. Der Bischof will das verhindern. Zwischenzeitlich hat er bereits versucht, die Stadt mit Gewalt einzunehmen und den Bürgermeister abzuschaffen. Das ist ihm nicht gelungen, Meersburg hat der Belagerung standgehalten. Da greift der geistliche Herr zu einer List: Er lenkt - scheinbar - gegenüber den Bürgern ein und bittet den Rat, seine Truppen von Konstanz her über den See durch die Stadt gegen den Grafen von Heiligenberg führen zu dürfen (der kürzeste Weg von Konstanz nach Norden führt über den See und durch Meersburg).
Bürgermeister Weinzürn geht auf das Ansinnen ein - im Bestreben, gegenüber dem Bischof Goodwill zu zeigen, das Verhältnis zum Stadtherrn auf eine solide Basis zu stellen und das letzte Hindernis auf dem Weg zur freien Reichsstadt auszuräumen.
Aber der Bischof spielt ein falsches Spiel: Kaum sind seine Truppen gelandet, bemächtigen sie sich der Stadt. Die Stadträte und Bürgermeister Weinzürn werden gefangen genommen und gefoltert, Weinzürn wenig später sogar vom Vogt des Bischofs ohne rechtmäßiges Urteil im Bodensee ertränkt.
Zum Inhalt siehe auch den Flyer. |
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Vogt und Stadtammann, Vertreter des Bischofs in der Stadt, haben die aufmüpfigen Bürger mit Truppen umstellt und den unbequemen Weinzürn in Gewahrsam genommen. Der Henker steht schon bereit ... |
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Chronik
Von 2007 bis 2019 vierundzwanzig Mal auf zwölf Mittelaltermärkten aufgeführt.
Und in alle den Jahren ist es immer besser! Immer lebendiger, immer authentischer, immer mitreißender geworden!
Die einzige Sache, die sich NICHT authentisch darstellen lässt, ist die Tatsache, dass die Ertränkung Simon Weinzürns HEIMLICH stattfand! Nach einer mittelalterlichen Quelle ruderte der Vogt mit ihm in einem Boot auf den See hinaus, Weinzürn musste sich auf das äußere Ende eines über den Bootsrand gelegten Brettes setzen, wobei der Vogt auf dem inneren Ende saß. Als der Vogt dann aufstand, bekam das Brett Übergewicht und fiel mitsamt dem unglücklichen Weinzürn ins Wasser.
Ich habe mir diese Szene zigmal vorgestellt und ich muss zugeben: ich habe meine Zweifel! Könnt Ihr Euch vorstellen, wie das praktisch zugegangen sein soll? Auf jeden Fall lässt sich das spieltechnisch nicht darstellen - und da es vor allen Zuschauern stattfindet, ist es auch nicht mehr heimlich. Ein heimliches Spektakel - das wäre die Quadratur des Kreises! Uns reicht ein spannendes Schauspiel, das den historischen Tatsachen - bis auf diese Kleinigkeit - so nahe wie möglich kommt.
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Epilog zum grausamen Ende des Simon Weinzürn:
“Damit ihr alle hier erfahret, was sich in diesen Mauern zugetragen hat. Es liegt sehr, sehr lange zurück, fürwahr. Doch es beweget immer noch die Herzen und ist wert, im Gedächtnis der Menschen zu bleiben!
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Zum Schluss noch eine Anmerkung zu dem möglichen Vorwurf, ein so ernster historischer Stoff wie das Schicksal von Bürgermeister Simon Weinzürn passe nicht in den Rahmen eines auf Spaß und Unterhaltung angelegten Mittelaltermarktes (abgesehen von der Tatsache, dass es sich gerade bei diesem Mittelaltermarkt um einen besonders liebevoll und mit Blick aufs Authentische gestalteten handelt).
Um der Wahrheit die Ehre zu geben - auch ich habe mich anfangs nicht ganz wohl gefühlt bei dem Gedanken, diesen Stoff auf eine mehr oder weniger improvisierte Bühne inmitten brodelnder Besucherströme zu bringen. Aber dann habe ich mich gefragt: Wenn dieser Stoff nicht hierher passt, wohin passt er dann? Auf die Bühne eines Staatstheaters? Ganz sicher, aber bis er dorthin kommt, vergehen möglicherweise noch einige Jahrhunderte. Oder in eine Schulfunksendung? Ob er die Schüler aber dort von den Hockern reißt? Am ehesten wird ihm wahrscheinlich ein dickes gelehrtes Buch gerecht, das hierzulande traditionsgemäß immer noch möglichst langweilig und schwer verständlich sein muss, um höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen zu genügen. Das hieße mit anderen Worten, der Stoff wäre wieder mal am besten dort aufgehoben, wo er nur einer kleinen Gruppe von Geschichtskundigen zugänglich ist. Kann das sein? Simon Weinzürn war doch einer, der unter schwierigen Umständen gegen die Tyrannei (in diesem Fall die Tyrannei der Kirche) Demokratie wagen wollte und diesen Versuch mit seinem Leben bezahlen musste. Dieser Stoff geht alle an, er ist auch heute noch aktuell, er ist zeitlos!
Auch auf den Märkten des “richtigen” Mittelalters ergötzten sich die Menschen an zeitlosen Stoffen. Leben und Tod wurden ihnen bei den Mysterienspielen vor Augen geführt. Belehrung und moralische Erbauung gingen Hand in Hand mit Schauder, Gruseleffekten und Sensationslust.
Das Schauspiel um Simon Weinzürn ist keine historische Dokumentation - auch wenn ich mir einbilde, in einigen Aspekten der geschichtlichen Wahrheit recht nah zu sein. Das Spiel soll beim Publikum Interesse wecken - Interesse und Sympathie für einen Menschen, der vor 550 Jahren ein herausragendes Beispiel für Mut und Zivilcourage gegeben hat. Dass es daneben auch noch Spannung erzeugen und Schauder einjagen darf, das versteht sich von selbst! Für alle, die mehr über Simon Weinzürn wissen wollen, steht ein Flyer mit historischen Daten bereit. |
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© Cornelia Renger-Zorn 1999-2024 letzte Aktualisierung: 1. Oktober 2024 |
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