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Nachtwächter, Nachtschwärmer und Laternenanzünder Neuer Rundgang des „Historienstadels“ durch die Altstadt von Gernsbach
am Mittwoch, 27. Oktober 2021
„Bewahret Feuer und Licht, dass euch Gott behüt!“ So tönte es am vergangenen Mittwochabend durch Straßen und Gassen der Altstadt. Zwanzig Gäste folgten dem Ruf, den der mit einer Hellebarde bewaffnete Nachtwächter Hans Jakob auf seinem Rundgang mehrfach durchdringend erschallen ließ. Die Worte sind im Eidbuch der Stadt Gernsbach aus dem 16. Jh. überliefert. Überliefert sind auch die einzelnen Stationen der nächtlichen Patrouille und die Pflichten, die vom Nachtwächter dort zu erledigen waren.
Schon im Mittelalter drehten des Nachts sogenannte Scharwächter in der Stadt ihre Runden, hauptsächlich um Brände zu verhindern. Am Alten Rathaus verdeutlichte der Blick in die Amtsstraße, wie es in Gernsbach einstmals aussah: Die Gassen waren eng, die Häuser aus Holz gebaut und verschachtelt, so dass sich Feuer rasend schnell ausbreiten konnten, wie sich in drei großen Stadtbränden 1417, 1787 und 1798 zeigte. Der geschwätzige Stadtschreiber Johann lieferte an den einzelnen Stationen Erklärungen über Pflichten, Kleidung und Verdienst der Scharwächter und allerhand andere historische Eigentümlichkeiten, oft sehr zum Unwillen des Nachtwächters, der sich in der Einhaltung seiner vorgeschriebenen Tour und seines Zeitplans erheblich gestört sah.
Ohne Rücksicht auf die Nachtwächter-Pflichten leitete Schreiber Johann mit dem Hinweis auf den Wissensdurst der Gäste die Tour zunächst zur Stadtmauer am Waldbach um. Dort sorgte eine verdächtige Gestalt für Beunruhigung, die sich schließlich als zum Haushalt einer Ebersteiner Grafentochter gehörende Palastwache herausstellte. Von der Mauer herab wurde Nachtwächter Hans Jakob dann von einer Schar von Bürgerinnen beschimpft, weil er sich entgegen seiner Vorschriften außerhalb der Stadt befinde. Nach Erfüllung seiner Pflicht, von innen über die Mauer in die Vorstadt Waldbach hinauszurufen und an den Zehntscheuern die Schlösser und Ketten zu prüfen, führte er die Gruppe zum Kornhaus weiter, wo sich seit dem 13. Jh. das Zentrum des Marktortes befand, der sich an der von West nach Ost verlaufenden Straße auf dem Bergsporn entwickelte und schon früh durch eine Mauer mit vier Toren und Türmen gesichert wurde. Das heutige Stadtbild entstand allerdings erst nach dem großen Stadtbrand von 1798 durch den badischen Hofarchitekten Friedrich Weinbrenner. Geändert hatte sich im 17. und 18. Jh. aber auch die Erscheinung des Nachtwächters. Nur die magere Entlohnung war gleich geblieben. Die Wächter verdienten so wenig, dass sie auch tagsüber einem Beruf nachgehen mussten, häufig als Tagelöhner. Das führte oft dazu, dass sie nachts auf der Wache einschliefen oder dem Alkohol zusprachen. 1876 wurden Stechuhren eingeführt, unter anderem auch am Kornhaus. Prompt verlangten die Nachtwächter eine Gehaltserhöhung, da der Dienst „sehr viel pünktlicher und daher auch viel schwieriger“ geworden sei!
Nach der Dienstordnung von 1871 musste der Nachtwächter den Polizeidiener um 22.45 Uhr beim Verkünden der Sperrstunde in den Wirtschaften begleiten. So spät war es am Mittwochabend noch nicht, aber Nachtwächter Hans Jakob warnte vorsichtshalber schon einmal alle Zecher in der Nähe des Kornhauses. Wer zur Sperrstunde als Nachtschwärmer noch angetrunken in einem Gasthaus gefunden werde, so verkündete er stimmgewaltig über den ganzen Platz hinweg, der müsse mit einer Anzeige rechnen. Danach ging es weiter zum Metzelbrunnen, wo einige Bürgerinnen bei der Abgabe von unversteuertem Glühwein überrascht wurden, was dazu führte, dass sie ihre Vorräte an die Gäste ausschenken mussten. Am Storchenturm stellte sich dann heraus, dass die Turmwächter nicht auf ihrem Posten waren, und ein Stopp am Wolkensteinschen Keller erlaubte einen Blick nicht nur auf die Geschichte der Stadtherren, sondern auch auf den Dienst der Laternenanzünder.
Bei diesem vergnüglichen Rundgang des „Gernsbacher Historienstadels“ verlieh der Gernsbacher Günther Schermer dem Nachtwächter Gestalt und Stimme. Den Stadtschreiber spielte Cornelia Renger-Zorn. In die Rollen der Palastwache und der Bürgerinnen schlüpften Maggie Maier, Amanda Anselm, Elvira Lumpp, Rita Rieflin und Doris Zegarra von der Sportvereinigung Ottenau. Auskünfte über weitere Führungen erteilt die Touristinfo der Stadt Gernsbach. |